Samstag, 13. Juni 2009

Wie viele bin ich eigentlich? Integration unserer Teilpersönlichkeiten durch Voice-Dialogue

Stell dir vor, du bist im Auto unterwegs und lässt einen anderen Verkehrsteilnehmer freundlicherweise aus der Parklücke ausscheren. Dein „Innerer Großzügiger“ war am Werk, du fühlst dich gut. Der Andere fährt vor dir und bremst plötzlich ab, weil er links abbiegen will, obwohl das an dieser Stelle verboten ist. Nun schimpfst du auf ihn, dein innerer Kritiker ist am Werk. Innerhalb kürzester Zeit haben also zwei unterschiedliche Teilpersönlichkeiten das Ruder übernommen. Wer ist da eigentlich Herr im Haus?

Wir glauben, eine einheitliche Persönlichkeit zu sein. Tatsächlich wirken in uns die Kräfte vieler Personen: Der innere Kritiker, der Aggressor, der Ängstliche, das innere Kind und viele andere. Eine Vielzahl von Stimmen will gehört werden und manchmal bilden sie Koalitionen.

Voice-Dialogue ist eine Methode, unsere verschiedenen inneren Stimmen, auch Energien oder Teilpersönlichkeiten genannt, kennenzulernen. So können wir lernen, mit den widerstrebenden Kräften in uns umzugehen, ihnen zu lauschen oder sie in ihre Grenzen zu weisen und uns von falschen inneren Ratgebern zu verabschieden. Voice Dialogue akzeptiert alle vorhandenen Energien ohne sie in gut und böse zu unterscheiden und strebt nur Bewusstheit an- eine Aware Ego.

Es ist wichtig ist, keine dieser inneren Stimmen zu verurteilen oder zu verneinen, sondern sie alle zu Wort kommen zu lassen. Je mehr wir "das Böse" in uns, unsere ungeliebten Seiten bekämpfen, desto mehr ergreifen sie von uns Besitz. Verdrängte Energie agieren im Unterbewussten, werden dort größer und möchten sich verwirklichen. Ignorieren wir dies, kann dies zu manch seltsamen Erlebnissen mit unseren Mitmenschen führen.

Oft spielt sich in uns ein Konflikt zwischen entgegengesetzten Stimmen ab. Aufgrund unseres eigenen Anschauungssystems oder gesellschaftlicher Normen unterdrücken wir eine dieser Stimmen, obwohl sie uns bei genauem hinhören etwas wichtiges zu sagen hat. Oder wir unterdrücken innere Stimmen so stark, dass wir sie augenscheinlich gar nicht haben. So z.B. wenn wir der Welt gegenüber vollkommen offen sind und keine Stimme uns gelegentlich zur Vorsicht rät. Oder wenn wir den Weg der bedingungslosen Liebe gehen und dabei unsere Machtgelüste, Gewalt, Bosheit, Sexualität und Eifersucht verdrängen.

Unser Problem sind nur selten die vorhandenen Eigenschaften, sondern die, die wir nicht haben oder sehr stark unterdrücken. Sie hängen oft mit traumatischen Erlebnissen zusammen. Entweder, weil wir immer bestraft wurden, wenn wir sie hatten oder wir wurden ein Opfer der wilden Tiere im Dschungel des Lebens, also einer Person, die sie hatte. Somit haben wir sie seitdem unterdrückt. Wenn deine unschuldige und empfindsame Seite Opfer eines Raubtieres wurde, brauchst du nun ein eigenes Raubtier das dich beschützt, wenn du deine empfindsame Seite wieder zeigen willst. Du hast dann eine Wahlmöglichkeit mehr.

Wie kannst du solche unterdrückte Eigenschaften in dir lokalisieren? Stell dir eine Person vor, die du nicht ausstehen kannst. Welche Eigenschaft an ihm oder ihr ist so schlimm? Was dir fehlt, ist die POSITIVE Ausprägung dieser Eigenschaft, dies verursacht Probleme in deinem Leben. Sind dir z.B. laute und aufdringliche Leute BESONDERS unangenehm, fehlt dir vielleicht die Fähigkeit, deine Anliegen und Interessen aktiv und wirksam zu vertreten. Die Stimme des Geizhalses in dir kann dir den Rat geben, dein Geld nicht mit vollen Händen für sinnlose Dingen zum Fenster rauszuwerfen.
Die Entdeckung gegensätzlicher Energien führt oft erstaunlich schnell zu einer Transformation.

Welche typischen inneren Stimmen gibt es?

Der innere Beschützer, den wir in der frühen Kindheit entwickelt haben. Er benutzt andere Teilselbste um zu bekommen, was er braucht.
Der Antreiber, der uns rastlos zu weiteren Leistungen antreibt.
Der innere Kritiker, dem wir nichts recht machen können. Er kritisiert uns und andere und verbündet sich oft mit dem Antreiber.
Der Pleaser, der nett sein und gefallen will. Eine Eigenschaft, mit der wir als kleine Kinder gut "überleben" konnten.
Der Unabhängige, der niemanden braucht.
Der innere Macho, der will, das alles nach seinem Willen geht und der andere beherrschen will. Unterdrücken wir diese Energie, agiert sie vielleicht auf versteckte und manipulative Weise.
Der entspannte Faulpelz
Der "New-Age protector-controller", der glaubt, dass man alle lieben muss und der unsere Wut unterdrückt. Diese unterdrückte Wut vergiftet häufig unsere Beziehungen oder führt uns zu Begegnungen mit wütenden Menschen.
Der gute oder tyrannische Vater
Die nährende Mutter
Das folgsame Kind
Das rebellische Kind

Das Hauptanliegen von Voice Dialogue ist ein Aware Ego, das in Kontakt mit allen Stimmen ist, somit über alle Informationen verfügt und intelligente und reife Entscheidungen fällen kann. Du selbst bist dann "nur" noch ein "unbeteiligter" Beobachter, der aus der reinen Bewusstheit heraus den Dialog seiner inneren Stimmen beobachtet.

Wichtig ist, seine Energien wirklich zu spüren und nicht nur intellektuell zu analysieren. Man kann die Energie tanzen, malen oder schauspielern oder sie sich in bildhafter Imagination einfach nur vorstellen.

Eigene unterdrückte Energie ( natürlich auch unterdrückte "positive" Energien") begegnen einem oft in Form anderer Personen. So ist der spießige Vater mit einem ausgeflippten Sohn geschlagen, der Ordnungsfanatiker mit eine chaotischen Freundin, der nette, demokratische Lehrer mit boshaften Schülern. Durch die Unterdrückung einer eigenen Energie überträgt sich diese Energie auf eine andere Person, um sich zu verwirklichen. Keine Stimme kann straflos unterdrückt werden, nicht einmal die der Unterdrückung. Wir sollten daher nicht in anderen Personen Eigenschaften bekämpfen, die unsere Eigenen sind und die wir selbst unterdrücken. Wir können auch lernen, in einer Partnerschaftsbeziehung im anderen unsere eigenen, bisher nicht akzeptierten Eigenschaften anzunehmen.

Am Ende der Arbeit mit Voice Dialogue steht ein freieres und bewussteres Selbst. Unsere Wahlmöglichkeiten im Alltag erhöhen sich, unsere inneren Teilpersönlichkeiten stehen uns hilfreich zur Seite.

In der griechischen Götterwelt gab es so gegensätzliche Götter wie Liebe (Aphrodite) und Krieg (Ares, Mars). Die Menschen durften dem einen mehr und dem anderen weniger dienen. Aber wehe dem, der irgendeinen der Götter überhaupt nicht diente, sondern ihn verdammte - er wurde von ihm verfolgt und schließlich vernichtet.

Betrachten wir unsere inneren Energien als unsere inneren Götter.